Steillagen: "Es ist nicht zu spät, den Wandel zu moderieren“
Welche Zukunft hat der Weinbau in den Steillagen an Neckar und Enz? Um diese Frage zu diskutieren, lud das Besigheimer Bündnis Mensch und Umwelt (BMU) am vergangenen Mittwoch (08. Mai) die Aufsichtsratsvorsitzende der Felsengartenkellerei, Heike Ruck, ein. Bei aller Liebe zum traditionsreichen Weinbau, müssen neue Wege gegangen werden.
Dass die Winzer in der Region ordentlich zu kämpfen haben, ist kein Geheimnis. Schätzungsweise wurden bereits über 10 Prozent der terrassierten Weinberge aufgegeben. Förderrunden und Spritzmittelverordnungen werden regelmäßig emotional diskutiert. Laut Ruck sind viele der heutigen Probleme auf Entscheidungen zurückzuführen, die bereits vor 30 Jahren getroffen wurden. „Stetig sind die Traubengelder gefallen, sodass nur noch der maschinelle Weinbau in der Ebene wirtschaftlich war.“ Die Veränderung geht Hand in Hand mit einem Strukturwandel in der Landwirtschaft. Es sind nur noch wenige Nebenerwerbswinzer, die nach Feierabend kleine Flächen bewirtschaften. Hingegen haben lange Zeit Großbetriebe die Steillagen mit Hilfe von angestellten Saisonkräften am Leben gehalten.
Heute sei es schwer, die Vorteile des Steillagenweins gegenüber dem Wein vom Acker anzupreisen. „Selbst beim Ausschankstand in der Steillage, wird aufgrund des Preises das einfache Viertele stärker nachgefragt“, so die studierte Getränketechnologin. Zudem gewinnen immer stärker Rebsorten das Herz der Konsumenten, die in Württemberg bisher nicht zu Hause sind. Den Konsumenten ist oft nicht bewusst ist, wie viel Arbeit hinter einer Flasche Wein steckt. Aufgrund der Überproduktion von geschätzt einem Drittel der weltweiten Produktion, lassen sich jedoch keine gerechten Preise erzielen. Die Konsequenz ist, dass Landwirte zunehmend von diversen Fördergeldern leben. „In einer Marktwirtschaft muss der Winzer vom Wein und nicht vom Fördergeld leben können“, so Daniel Christen.
Zwangsläufig kann der anhaltende Wandel der Kulturlandschaft nicht aufgehalten werden. „Es ist jedoch nicht zu spät, den Wandel zu moderieren“, so Christen. Wichtig sei es in der jetzigen Situation, die Steillagen mit ihren charakteristischen Trockenmauern und den dort lebenden Arten als Gesamtbild zu erhalten. Dabei ist der Wein nicht die einzige Kultur, die es an Neckar und Enz aushält. Ruth Braun, die lange Zeit als selbstständige Winzerin ein Weingut führte, berichtet vom „Insekten- und Energieberg“, den sie im Froschberg anlegte. Möglicherweise können weniger pflegeintensive Blühmischungen dort der Aufwertung dienen, wo einst Wein gewachsen ist. Dringend muss verhindert werden, dass nicht mehr bewirtschaftete Weinberge sich selbst überlassen werden. Wenn einmal Brombeerhecken die Reben überwachsen haben, kann das Dickicht kaum noch bewältigt werden, sodass eine mögliche Weiternutzung der Fläche ist defacto unmöglich wird. Nicht ohne Grund zwingt der Nachbarkreis Rems-Murr Eigentümer zur Rodung von Flächen, wenn deren Bewirtschaftung endet.
Dass der Weinbau noch eine Zukunft hat, zeigt der zugezogene Philipp Braun, der gemeinsam mit Daniel Christen einen Steillagenweinberg gepachtet hat und sich „in der Ausbildung zum Nebenerwerbswinzer“ befindet. Im ganzen Landkreis locken Projekte, die Menschen an die Arbeit im Weinberg heranführen. Dabei ist es oft einfacher, wenn man als Gruppe Verantwortung übernimmt, bevor man allein zwischen Reben steht. „Die Arbeit im Wengert ist ein toller Ausgleich zum Büroalltag“, betont Braun und schwärmt weiter, „das Fitnessstudio mit dem besten Ausblick liegt direkt vor unserer Haustür.“ Deshalb lohnt es sich, die einmalige Kulturlandschaft weiterhin zu pflegen. Doch wenn die Besigheimer ihre Steillagen erhalten wollen, müssen sie schnell konkret werden, denn spätestens im November entscheidet der Winzer, ob der im nächsten Jahr noch am Ball bleibt.